Digitalisierung
Sieglein, Sieglein an der Wand, wer ist der beste Arbeitgeber im Land?
Auszeichnung in Silber hier, Award in Gold da, „Toller Hengst“-Stempel dort: Hunderte von Siegeln belegen angeblich, wie gut (nicht nur, aber hauptsächlich) mittelständische Unternehmen als Arbeitgeber taugen. Von Design-Preisen, Kommunikations-Awards und allen anderen Arten von Gütesiegeln ganz zu schweigen. Im verzweifelt geführten Kampf um Sichtbarkeit im Employer Branding ist fast jedes Mittel recht – das ist aber nicht nur teuer, sondern auch überflüssig, findet BRANDAD-Autor Jürgen Krauß.
Was bisher geschah
Wir haben eine E-Mail bekommen. Wir seien nach journalistischen Kriterien und durch ein komplexes Bewertungsverfahren als interessanter Arbeitgeber aufgefallen, stand da. Weil wir ja so innovativ seien und anderen als Vorbild Mut machten. Ja, äh ... cool? Fühlt sich gut an. Jetzt sollten wir nur noch den Fragebogen zur Selbsteinschätzung ausfüllen und damit BRANDAD als visionären Arbeitgeber einer Jury vorschlagen, die wohl auch irgendwas mit der ehemaligen Ministerin für Wirtschaft und Energie Brigitte Zypries zu tun hat. Na, das ist doch mal was!
Wenige Tage später dann die überraschende Ehre: Wir wurden tatsächlich ausgezeichnet! Als „Arbeitgeber von Morgen“*! Damit gehören wir angeblich zu den „Aushängeschildern“ des Mittelstands hier im Land. Mit uns gesprochen? Hat dazu niemand. Die aufwändige, wissenschaftliche Analyse? Streng geheim und ziemlich intransparent. Meinen die wirklich uns? Naja: Die erste Mail ging an die CEO unseres Tochterunternehmens BRANDAD Solutions, den Fragebogen habe ich im Namen von BRANDAD Development abgeschickt. Da könnte man sich ja schon die Frage stellen: Wie sorgfältig war die journalistische Prüfung? Aber im Grunde ist's ja auch egal – so eine Auszeichnung nehmen wir doch gerne mit. Kostet schließlich nichts, oder? Oder ...? ODER?
Nichts ist umsonst …
Ah, jetzt fällt der Groschen: Um die Auszeichnung ein Jahr lang führen zu dürfen – komplett mit Siegel auf der Webseite, Trophäe in der Vitrine und Einladung zur Verleihungszeremonie –, sollen wir rund 2.500 Euro berappen (größere Unternehmen zahlen deutlich mehr). Spontan schießen mir Bilder in den Kopf von Rosenverkäufern in den Urlaubsregionen, die dir erst ungefragt einige welke Stängel in die Hand drücken und dann lautstark darauf bestehen, dass du sie ja schließlich schon in der Hand hast, und nun auch bezahlen musst. Mein mentales Bild wird alsbald von einem Spam-Popup überdeckt, das mir gratuliert, weil ich als Einmillionster Rosenkäufer angeblich ein neues Smartphone gewonnen hätte – ich müsse aber erst ein Klingelton-Abo abschließen.
Wir alle kennen solch dubiosen Geschäftspraktiken, und manchmal kommen wir als Verbraucherinnen oder Verbraucher am Ende nicht drumherum: bei Druckertinte zum Beispiel. Oder bei Rasierklingen. Wenn ich nun mal unbedingt etwas drucken oder mich nass rasieren will, muss ich mitspielen. Beim Arbeitgeber-Siegel könnte das ähnlich sein: Falls es für Bewerberinnen und Bewerber wichtig ist, dass wir eines dieser schwarz-rot-und-ganz-viel-goldenen Logos im Webseiten-Footer haben, dann machen wir das halt. Zähneknirschend zwar, aber das hört am Ende ja niemand.
Ich kann alle, die in einer ähnlichen Situation und vielleicht genau deshalb hier im Blog gelandet sind, direkt wieder beruhigen: Sooooo wichtig sind diese Auszeichnungen gar nicht. Menschen haben Siegel mittlerweile einfach über. Die Dinger sind omnipräsent und vermitteln schon allein deshalb wenig bis nichts ... zumindest nichts, das hängenbleibt. Oder kannst du mir spontan mehr als eine Auszeichnung für Arbeitgeber nennen?
Wahrscheinlich nicht. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch die Studie eines Kölner Beratungsunternehmens im Jahr 2019: 82 Prozent der Teilnehmenden konnten überhaupt kein Arbeitgeber-Siegel nennen und auch nur knapp 32 Prozent wussten etwas mit den Siegeln anzufangen, wenn sie ihnen genannt wurden (heute, vier Jahre später, ist die Situation sicher eher schlimmer als besser). Spitzenreiter „kununu Top Company“ war (nach Nennung) nur mageren 28 Prozent der Befragten ein Begriff. Eine Studie aus dem Jahr 2015 kommt zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.
Arbeitgeber-Siegel, ein Deep-Dive
Ein schäbiges Geschäftsmodell? Oder ist das eines dieser „Die Wirtschaft funktioniert nun mal so“-Dinge, die wir einfach hinnehmen müssen?
Die Zahl an möglichen Siegeln für Arbeitgeber ist jedenfalls enorm: Lag sie vor einigen Jahren noch „nur“ bei 70, sind es heute mehr als 200 (und auch das sind schon richtig alte Zahlen). Selbstverständlich sind da auch einige vertrauenswürdige Auszeichnungen dabei – mit transparenten, sorgfältigen und schlüssigen Auswahl- beziehungsweise Prüfverfahren. Zum Beispiel die des TÜV Rheinland: Hier zeigt ein anfängliches Audit eine erste Momentaufnahme; die Unternehmen werden dann aber über Jahre hinweg weiter im Auge behalten, und teilweise erneut begutachtet. Auch Top Company von kununu kann ich insofern ernstnehmen, als dass diesem Award echte und öffentlich einsehbare Bewertungen von aktuellen und ehemaligen Angestellten zugrunde liegen.
Quelle: TÜV, https://tuv.vom
Oliver Scharfenberg, Geschäftsführer von SQC-QualityCert untersuchte in einer Abschlussarbeit im Jahr 2022 zahlreiche Arbeitgebersiegel – und kommt zu einem wenn schon nicht vernichtenden, zumindest aber ernüchternden Schluss: „Die Masterthesis hat auch gezeigt, dass die große Mehrheit der Konsumenten gar nichts oder sehr wenig über die zugrunde liegenden Methoden bei der Vergabe von Arbeitgebersiegeln weiß. Somit kann man festhalten, dass ein Arbeitgebersiegel besser ist als kein Arbeitgebersiegel. Wobei ein Arbeitgebersiegel allein natürlich noch keinen attraktiven Arbeitgeber ausmacht.“
Das Haufe Personalmagazin ist angesichts der hiesigen Siegelflut ebenfalls zwiegespalten: „Viele Unternehmen überschätzen jedoch die Seriosität der Siegel und vor allem den erhofften Imagegewinn.“ Die Zielgruppe ist skeptisch bis uninteressiert, und das nicht nur bei Siegeln aus dem Themengebiet Arbeitgebermarke. Dass es im Online-Handel einige schwarze Gütesiegel-Schafe gibt, daran bestehen wenig Zweifel. Studien zum Thema Bio-Siegel haben außerdem gezeigt, dass Kundinnen und Kunden zwar nach wie vor stark nach Siegeln Ausschau halten, ihnen in den allermeisten Fällen aber nicht klar ist, was das jeweilige Siegel überhaupt konkret bedeutet. Das alles spricht nicht gerade dafür, viel Geld in derartige Auszeichnungen zu stecken.
Danke, aber nein danke
Irgendwie fällt der Groschen dann am Ende doch nicht – er bleibt im Portemonnaie: Wir haben uns entschieden, kein Arbeitgeber-Siegel zu kaufen. Die Knipsgelegenheit mit Frau Zypries fällt damit zwar auch flach, aber wurden nicht genau für solche Gelegenheiten Bildgenerierungs-KI erfunden?
Quelle: DeepAI
Wir werden also kein zertifizierter „Arbeitgeber von Morgen“ und uns auch keinen Plexiglas-Staubfänger ins Regal stellen. Das haben wir als Employer-Relationship-Team so entschieden. Stattdessen haben wir eine bessere Idee: Wir machen einfach unser eigenes Siegel (eins mehr macht das Kraut ja nun auch wirklich nicht mehr fett), oder besser gesagt: ein Unsiegel. Das ist nicht nur kostenlos, sondern darf auch gerne von anderen interessierten Unternehmen genutzt werden – sie müssen lediglich unsere äußerst transparenten Auszeichnungskriterien berücksichtigen. Oder, naja, unser Kriterium ... es gibt nämlich nur eines: Das „Super 1 A-Top-Employer“-Unsiegel darf jeder Arbeitgebende führen, der nicht gleichzeitig ein anderes, bezahltes Arbeitgebersiegel führt. That's it.
(Die offenen Bilddaten dazu stehen unter Open-Source-Lizenz (CC BY 4.0).)
Oder aber ihr spart euch die Zeit, euch noch länger mit derartigen Nebensächlichkeiten zu befassen und checkt derweil lieber die Stellenanzeigen auf unserer Webseite – die erzählen euch mehr über uns als Arbeitgeber, als es ein 2.500-Euro-„Arbeitgeber von Morgen“-Siegel jemals könnte.
Vielleicht trotzdem ... naja, nur zur Sicherheit: „DALL-E, please draw me an illustration of a 2,500-euro, employer-of-tomorrow award in gold for the year 2023 with a trophy and with a German flag emblem – and yes, you can use Comic Sans if you want to“.
Quelle: Dall-E
*(Name der Auszeichnung geändert)
Über die Autorin oder den Autor:
Als Texter, Podcaster und Online-Marketer findet man Jürgen sowohl vor als auch hinter den Kulissen, wenn es um unsere Außenkommunikation geht. Der Beinahe-Digital-Native treibt außerdem die Themen Personal Branding und Corporate Influencing voran. Mehr über Jürgen.