Arbeitskultur, Menschen bei BRANDAD Systems
Warum agiles Arbeiten nicht ohne Diversität geht.
Regenbogenflagge, Gendern oder Barrierefreiheit: diese Begriffe fallen einem oft ein, wenn man an Diversität denkt. Aber agiles Arbeiten? Was hat das mit Diversität zu tun? Eine ganze Menge, denn Vielfalt, Offenheit und Respekt sind Werte des agilen Arbeitens. Deshalb geht Agilität nicht ohne Diversität – nicht nur in Form von crossfunktionalen Teams.
Wir handeln jeden Tag politisch.
In den meisten Unternehmen gilt: Politische Themen wie die Frauenquote, Diskussionen über die Regenbogenflagge oder die „Black Live Matter“-Bewegung haben bei der täglichen Arbeit nichts verloren. Wir tauschen uns über Strategien, Kundenanforderungen und Produktentwicklung aus, aber gesellschaftliche Themen beeinflussen das nicht. Ist das wirklich so – und ist das wirklich richtig so?Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir beinahe täglich mit politisch relevanten Themen konfrontiert sind, ohne dass es uns bewusst ist – im privaten wie beruflichen Leben. Das fängt schon morgens an: Setze ich mich im Bus neben den jungen Schwarzen Mann oder neben die ältere weiße Dame? Bringt heute die Mutter oder der Vater die kleine Tochter in den Kindergarten? Wird in der Zeitung nur von Virologen oder auch von Virologinnen gesprochen? Ich schreibe diesen Text und die Rechtschreibprüfung unterkringelt mir “Virologinnen” als falsch. Stattdessen möchte das Programm, dass ich „Urologen“ schreibe.
Im unternehmerischen Kontext stellen sich Fragen wie: Laden wir Ayse Ghannam zum Vorstellungsgespräch ein oder doch eher Florian Müller – mit den gleichen Qualifikationen? Suchen wir in Stellenanzeigen nach Experten oder auch nach Expertinnen? Ist das Bürogebäude barrierefrei? Meist unterbewusst treffen wir so jeden Tag politische Entscheidungen und gestalten unser privates und berufliches Leben mehr oder weniger divers und integrativ. Wir denken in Schubladen, was menschlich ist. Allerdings sollten wir uns dessen ständig bewusst sein, reflektieren und hinterfragen.
Diversität im Unternehmen
Für ein agiles Unternehmen haben Diversität, Offenheit und Respekt eine besondere Bedeutung, da sie zu den agilen Werten und Prinzipien zählen. Diese Begriffe werden in erster Linie (noch) in direkter Verbindung zur Arbeit gesehen. Das Projekt wird erfolgreicher und es entsteht mehr Kreativität, wenn unterschiedliche Disziplinen eng zusammenarbeiten. Echte Diversität ist jedoch erst erreicht, wenn ein Team crossfunktional aufgestellt ist und gleichzeitig unterschiedliche Geschlechter sowie Menschen verschiedener sozialer und ethnischer Herkünfte bei der Teamzusammenstellung berücksichtigt werden.Nehmen wir mal an, es geht um das Programmieren einer App zum Finden von Restaurants. Das Team ist crossfunktional aufgestellt, besteht aber zum größten Teil aus ledigen, weißen Männern, die zwischen 25 und 35 Jahre alt sind. Nur die 35-jährige Kollegin aus dem Marketing, verheiratet ohne Kinder, bringt in gewisser Weise eine weibliche Sicht mit ein. Sie wird aber wenig in die Produktentwicklung einbezogen, weil sie für die Steuerung der Werbekampagnen zuständig ist.
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Die App macht das, was man auf dem ersten Blick erwartet: Sie zeigt Standorte, Öffnungszeiten, Essensrichtungen und Preisspannen an. Mit der Zeit kommen weitere Funktionen dazu: Liefermöglichkeiten, Online-Reservierungen und Bewertungen. Mit den Nutzer:innen werden UX-Befragungen gemacht und die Funktionen getestet. Das Ergebnis ist, dass die Befragten mit der Nutzerführung auf den ersten Blick zufrieden sind und sich zurechtfinden. Sehr gut! Job erledigt.
Wie wäre es aber mit Informationen, ob neben dem Tisch auch genug Platz für einen Kinderwagen ist? Gibt es Wickelmöglichkeiten für Babys in Damen- und Herren-Toiletten? Befindet sich das Restaurant in einer abgelegenen Gasse, in der es abends dunkel ist? Wie weit ist es bis zur nächsten Bushaltestelle? Kann ich mich im Rollstuhl ohne weiteres dort bewegen? Sind das Fragen, die sich das Team stellen würde, um die App weiterzuentwickeln? Sicherlich gibt es noch weitere Bedürfnisse, die für BPoC oder Menschen aus der LGBTQI+ Community oder mit Behinderung relevant sind. Sie fallen mir (weiß, heterosexuell, keine Kinder, ohne Behinderung) aber nicht ein, weil sie in meiner Lebensrealität nicht stattfinden.
Auswirkungen fehlender Diversität in Alltag und Unternehmen
Ja, jetzt übertreib mal nicht! Man kann es ja nicht jedem Recht machen! Die App erfüllt doch ihren Zweck und die Nutzer sind zufrieden.Häufig kommen diese Aussagen von Personen aus der Dominanzgesellschaft, die in ihrem Leben kaum oder gar keine Benachteiligung erfahren: sei es aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer sozialen/ethnischen Herkunft oder ihrer körperlichen Fähigkeiten.
Was es jedoch bedeutet, wenn wir Produkte entwickeln, die in erster Linie (weiße) Männer als das Normativ haben, zeigen einige reale Beispiele (u. a. aus: Unsichtbare Frauen, Caroline Criado-Perez, 4. Auflage, Deutsche Erstauflage März 2020):
- Nach aktuellem Stand (Juni 2021) melden Frauen doppelt so häufig Nebenwirkungen nach der Corona-Impfung wie Männer. Aber: Konkrete Daten fehlen, weil Geschlechterunterschiede in der medizinischen Forschung meist nicht berücksichtigt werden – genauso wenig wie die unterschiedliche Wirkung von Medikamenten bei Frauen und Männern.
- Es gibt keine Crash-Test-Dummies für den weiblichen Körperbau. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einem Unfall ernsthaft verletzt wird, 47 % höher und, dass sie stirbt, 17 % höher als bei einem Mann, der den gleichen Unfall hatte.
- Die Produktgestaltung von Smartphones beruht auf der Größe von männlichen Händen und sind für Frauen damit meist zu groß.
- Software für Gesichtserkennung funktioniert bei Schwarzen Frauen nur zu 75 %, bei weißen Männern hingegen zu 99 %.
Folglich sind politische und gesellschaftliche Themen meiner Meinung nach überaus relevant im beruflichen Kontext. Für die Zukunftsfähigkeit einer Firma ist es essenziell, unternehmerische Entscheidungen nicht nur für die (weiße) Dominanzgesellschaft zu treffen, sondern alle Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Lebensumständen und Einstellungen mit einzubeziehen und ihnen eine Stimme zu geben. Dann lernen Mitarbeiter:innen kontinuierlich voneinander und entwickeln sich selbst, aber auch die Produkte besser weiter.
Über die Autorin oder den Autor:
Nina hat über 10 Jahre Berufserfahrung in Kundenberatung, Projektmanagement und Online-Marketing und ist eine echte „Digital Native“. Sie liebt es, Zahlen, Daten, Fakten zu analysieren und die Dinge besser zu machen, als sie gestern noch waren – egal ob in der Arbeit oder bei ihren persönlichen Herzensthemen Diversität und Gleichstellung.